Bericht zur Grossratssitzung vom 24.3.2021

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Bericht zur Grossratssitzung vom 24.3.2021

Kantonsrätin Elisabeth Rickenbach berichtet aus dem Grossen Rat.

Dringliche Parlamentarische Initiative «Kantonsreferendum gegen die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister) vom 18. Dez. 2020 (BBI 2020, 9931, 9932)

Diese Art von Vorstoss hat es in sich: Er ergreift das Kantonsreferendum und umgeht damit das Unterschriftensammeln. Das empfinden wir stossend. Aber – das Anliegen ist uns sehr wichtig. Deshalb entschieden wir EVP Kantonsräte, der Dringlichkeit für EINMAL angesichts der pandemiebedingten Erschwernisse zuzustimmen. Dies im Bewusstsein, dass diese Vorgehensweise in erster Linie zur Lösung föderalistischer Fragen gedacht ist, in denen der Kanton Thurgau betroffen ist. Schule machen darf dieses Vorgehen nicht.

Der Rat hiess die Dringlichkeit mit 63:57 gut.

Regierungsrätin Cornelia Komposch nimmt Stellung zum Vorstoss: sie fasst die vom Regierungsrat erstellte Stellungnahme vom 11.9.18 an den Bund zusammen. Darin bekundeten sie eine kritische und ablehnende Haltung. Der Geschlechtswechsel soll unter juristischer Begleitung geregelt bleiben und nicht einfach vor dem Zivilstandsbeamten.

Anschliessend wurde im Rat über den Inhalt diskutiert.

Die Mehrheit der Fraktionen teilen die Meinung, dass es richtig ist, dass das Geschlecht einfach hinterlegt werden kann. Es müsse dringend erleichtert werden, da es aufwändig, teuer und psychisch belastbar für die Betroffenen sei.  Man bedenke die hohe Suizidalität der Betroffenen. Eine Rückänderungen sei erst einmal vorgekommen.

Doris Günter fasste die gegenteilige Meinung so zusammen in ihrem Votum: 1. Im Alter von 16 Jahren hat man genaue, aber auch spontan wechselnde Vorlieben und Abneigungen und die sexuelle Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb ist es für uns zu früh Tür und Tor für den schwerwiegenden Entscheid zum Wechsel der Identität zu öffnen. Hormontherapien vor der Pubertät oder chirurgische Eingriffe bereits im Sekundarschulalter sind für uns unverantwortlich.

2. Die Eltern sind verantwortlich für die Finanzierung der Ausbildung, stehen gerade für allfällige Schulden, unterschreiben Verträge für die Jugendlichen, aber können zu einem Identitätswechsel nichts sagen. Das kann für uns nicht sein. Das Familiengefüge soll vom Gesetzgeber wo immer möglich gestützt werden.

3. Pädagogisch gedacht brauchen Jugendliche in einem geschlechtlichen Identitätsdilemma verständnisvolle, akzeptierende Begleitung. Der Einbezug von psychologischer Begleitung und medizinischen Gutachten scheint uns selbstverständlich dazuzugehören. Auf die Länge eines Lebens ist ein Identitätswechsel ein äusserst schwerwiegender Entscheid, der ausgereift und mit Unterstützung des nahen Umfeldes getroffen werden sollte.

Hier noch ein selbsterlebtes Beispiel: während meiner Ausbildung arbeitete ich auf der Wiederherstellungschirurgie, wo auch Sex-Change durchgeführt wurde. Von allen habe ich mittlerweile erfahren, dass sie sich suizidiert haben. Dabei waren sie nach den OP’s so glücklich. Es scheint, dass die Identitätssuche bleibt.

Leider unterlag das Anliegen mit 53 ja zu 63 Nein Stimmen was bedeutet, dass das Kantonsreferendum nicht zustande kam.

 

Gesetze und Verordnungen im Zusammenhang mit der Überprüfung der Justizorganisation

  • Gesetz betr. die Änderung des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG)
  • Gesetz betr. die Änderung des Gesetzes über die Verantwortlichkeit (Verantwortlichkeitsgesetz)
  • Gesetz betr. die Änderung des Anwaltsgesetzes
  • Gesetz betr. die Änderung des Gesetzes über die Zivil- und Strafrechtspflege (ZSRG)
  • Gesetz betr. die Änderung des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Strafrecht (EG StGB)
  • Gesetz betr. die Änderung des Polizeigesetzes (PolG)
  • Verordnung betreffend die Änderung der Verordnung des Grossen Rates über die Gebühren der Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden (VGG)

Das umfassende Paket der Gesetzesänderungen konnte heute mit 109 Ja-Stimmen ohne Gegenstimme verabschiedet werden. Das Behördenreferendum wurde bei keinem Gesetz ergriffen.

Regierungsrätin Cornelia Komposch bedankt sich für die gute Aufnahme dieses Paketes, das sehr komplex und juristisch war.

 

Parlamentarische Initiative: «Prämie für die Verwendung von Holz aus dem Kanton Thurgau»

Rückzug durch die Initianten zugunsten der identischen sogleich im Anschluss traktandierten Motion.

 

Motion: «Förderbeiträge an Thurgauer Holz»

Eine Mehrheit der Grossräte lehnt mit 68 zu 45 Stimmen die Motion ab (die EVP hat mit einer Enthaltung auch ablehnend gestimmt). Ausschlaggebend dafür war, dass eine zusätzliche Subvention nicht der richtige Weg ist. Untenstehend das Fraktionsvotum von Roland Wyss:

Die Motion verlangt, dass für Bauten, bei denen einheimisches und natürlich verarbeitetes Holz verwendet wird, Beiträge ausbezahlt werden. Im Grundsatz ist dies eine gute Idee. Nur wird dadurch der Holzpreis im Thurgau wirklich steigen?

Wie die Regierung in der Beantwortung schreibt, unterstützt sie die Waldwirtschaft bereits mit verschiedenen Massnahmen wie dem Aktionsplan Holz, via Förderbeiträge für einheimische Rohstoffe beim Baustandart Minergie-ECO oder bei Sturm- und Käferholz. Und wie reagiert der Markt auf solche Unterstützungen? Der Preis für Käferholz wird dadurch noch tiefer mit der Begründung der Abnehmer, dass dieses Holz ja bereits subventioniert wird.

Bei seinen eigenen Bauten wie dem Ergänzungsbau des Regierungsgebäudes oder der Turnhalle der Berufsschule in Frauenfeld setzt der Kanton auf einheimisches Holz. Die Hoffnung, dass dadurch ein höherer Holz-Preis bezahlt wird, ist zwar nicht Realität, trotzdem ist dies ein positives Signal und soll als Vorbild für weitere öffentliche und private Bauten gelten.

Die Bewirtschaftung des Waldes ist kein profitables Geschäft mehr. Der Wald an sich hat heute auch eine andere Bedeutung als noch vor zwanzig Jahren. Er ist Naherholungsgebiet, Luftreiniger, produziert Sauerstoff, bindet CO2, reinigt und speichert unser Trinkwasser und trägt viel zur Biodiversität bei. Eigentlich müssten wir all diese Aufgaben des Waldes mehr honorieren und so wiederum Anreize für die Waldpflege schaffen. Denn: nur ein intakter Wald kann seine Waldfunktionen auch wahrnehmen!

Ein weiteres Problem der Entrichtung von Beiträgen bei Verwendung von einheimischem Holz sehen wir in der Zuordnung der Empfänger. Wer bekommt welchen Anteil? Wird die ganze Lieferkette unterstützt, also auch Sägewerke oder Rohstoff-Verarbeiter? Bis wann ist Thurgauer Holz noch einheimisch vor allem dann, wenn für die Verarbeitung gar keine lokalen Unternehmungen zur Verfügung stehen? Und wie hoch ist der administrative Aufwand um all dies nachzuvollziehen?

Wir stehen hinter einer Unterstützung des Thurgauer Waldes, erachtet den Ansatz dieser Motion aber als falsches Vorgehen.

Die Befürworter seitens SVP monierten, dass es sehr wohl die finanzielle Unterstützung vom Kanton brauche, um Importholz durch einheimisches Holz ersetzen zu können.

Regierungsrätin Carmen Haag attestiert, dass die Waldbesitzer stark belastet werden und der tiefe Holzpreis zermürbend sei. Aber eine zusätzliche Subvention ist nicht zielführend. Label CH-Holz besteht, Label TG Holz ist zu begrüssen, aber keine zusätzliche Subvention.

 

Gesetz betr. die Änderung des Gesetzes über die Inkassohilfe für familienrechtliche Unterhaltsbeiträge und die Bevorschussung von Kinderalimenten (AliG), 1. Lesung

Diese Gesetzesänderung regelt die Inkassohilfe und Bevorschussung. Im TG war diese anhin bis 18 Jahre gewährt. In den umliegenden Kantonen ist das Alter höher. Nun soll die Anpassung auf 25 Jahre resp. Vollendung einer angemessenen Ausbildung gesetzt werden und nicht auf die Volljährigkeit begrenzt bleiben. Es braucht einen Schutz der Jugendlichen in Ausbildung bis max. 25 Jahre, da es sich um ein Versäumnis der Eltern handelt und nicht der Jugendliche bestraft werden soll. Es soll den Jugendlichen nicht zugemutet werden, gerichtlich gegen die eigenen Eltern vorgehen zu müssen. Sie sollen sich auf ihre Ausbildung konzentrieren können.

Wir EVP Kantonsräte unterstützen diese Gesetzesanpassung. Die Jugendlichen haben sich diese Situation nicht ausgelesen und deshalb gilt es sie hier angemessen zu unterstützen.

Der SVP ist das Alter bis 25 Jahre zu hoch und sie stellen den Antrag auf Herabsetzung auf 20 Jahre. Dieser wurde mit 39 ja zu 74 nein abgelehnt.

Letztendlich wurde das Gesetz ohne Änderung in 1. Lesung mehrheitlich verabschiedet.

 

Richtlinien des Regierungsrates für die Regierungstätigkeit in der Legislatur 2020-2024

Es sei die wichtigste Kommission überhaupt, war die Meinung eines Kommissionsmitgliedes. Ich durfte in dieser Kommission mitwirken. Und es ist schon so, es gibt einen vertieften Einblick in die Ziele des Regierungsrates.

Alle Fraktionen nehmen diese Richtlinien wohlwollend zur Kenntnis.

Als Kommissionsmitglied hielt Roland Wyss das Fraktionsvotum. (siehe unter Voten aus dem Grossen Rat).

In der Detailberatung nehme ich noch die Cybercrime im TG in den Fokus sowie die Nachwuchsförderung Pflege.

RR Cornelia Komposch zur Cyberkriminalität: Die jetzige Cybercrime-Abteilung ist aktuell nicht in der Lage alles abzudecken. Ziel ist, dies zu bewältigen. Mit der Umstrukturierung «Lynx» ist es in Umsetzung, aber noch nicht auf der Zielgeraden. Sie wollen in der Kripo eine eigeständige Einheit aufbauen: 14 Stellen sollen besetzt werden. Davon konnte bis jetzt zwei Corps Stellen geschaffen werden.

RR Urs Martin zur Situation der Pflege: Er ist der Meinung, dass der Kanton nicht allzu viel Einfluss auf Lohn haben kann. Aber er will sich bemühen, die Situation der Pflegefachfrauen im Auge zu behalten.

Die Regierungsrichtlinien 2020-2024 wurden mit 110:0 in zustimmenden Sinne vom Grossen Rat zur Kenntnis genommen.

 

Interpellation: «Hausärztemangel im Thurgau, was tun?»

Bereits im Vorfeld dieses Traktandum wurde in den Medien das Thema aufgegriffen.

Es waren denn auch Ärzte, die auf Kantonsräte zugegangen waren. Daraus entstand diese Interpellation. Zur Vorbereitung traf ich mich mit verschiedenen Kantonsratsvertreter aus diversen Parteien zum Austausch mit Hausärzten, Spitalärzten, dem Präsidenten der Ärztegesellschaft Thurgau.

Es scheint unbestritten über alle Parteien, dass der Hausärztemangel reell ist und dies problematisch für die Grundversorgung ist. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass auch bei weiteren Grundversorger wie Apotheker/in und Pflege Fachkräftemangel herrscht und es deshalb wichtig ist, eine horizontale Zusammenarbeit anzustreben und nicht nur im eigenen Gärtli zu wirken/klagen. Auch der Strukturwandel resp. Berufswandel ist Tatsache: Der Einzelkämpfer-Hausarzt mit einer 80 Stunden Woche gibt es immer seltener, Gruppenpraxen und Teamarbeit sind gefragter. Dies wird aber den Landpraxen zum Verhängnis. Gruppenpraxen ermöglicht Teilzeitarbeit. Die Lebens-Arbeits-Form der Hausärzte/Hausärztinnen hat sich gewandelt.

Für die EVP hielt ich ein Votum (siehe unter Voten aus dem Grossen Rat) mit dem Schwerpunkt a) Das bisherige Aktionsprogramm reicht nicht aus, um mehr Hausärzte zu gewinnen und deshalb ist die Talsohle noch nicht behoben. Es braucht eine Ausbildungsoffensive und b) Taxpunktwert muss erhöht für Attraktivitätssteigerung zum Ergreifen der Hausarzttätigkeit. c) Grundsatzproblematik, dass, wenn zu wenig Hausärzte vorhanden sind, auch Sonderaufgaben wie Schul-, Heim-. Bezirksarztaufgaben nicht mehr abgedeckt werden können.

An dieser Sitzung wurde rege parliert, was ja einem Parlament auch zusteht. Aber für drei weitere Traktanden reichte die Zeit nicht mehr:   

Interpellation: «Littering ein (ernst)zunehmendes Problem – und kein Ende in Sicht»

Interpellation: «Situation von geflüchteten Frauen und Mädchen im Kanton Thurgau»

Interpellation: «Pflegefinanzierung statt Konkurs»

 

Zum Sitzungsabschluss verabschiedete Grossratspräsident zwei austretende Kantonsräte:

Heidi Grau, FDP, war 17 Jahre im Rat, hatte in 14 Spezialkommissionen Einsitz, war GFK- Präsidentin und Grossratspäsidentin.

Alex Frei, CVP, verabschiedet sich nach 11 Jahren vom Grossen Rat. Er wirkte in 21 Spezialkommissionen mit.  Mit ihm verlieren wir ein in Freundschaft verbundenes Fraktionsmitglied.